Sonntag, 1. Dezember 2013

Was Selbst_Fürsorge für mich NICHT ist

Eigentlich mag ich es nicht mehr, meine Texte in Abgrenzungen zu schreiben. Ich will mich nicht durchs Netz bewegen und andere Texte kritisieren. Das habe ich jahrelang an der Uni gelernt und von dem Nutzen profitiert, mich besser als andere zu fühlen, ohne selbst Alternativen anbieten zu müssen.
Allerdings begegne ich immer wieder Bildern von Selbst_Fürsorge, in denen ich mich und meine Gedanken nicht wiederfinden kann. Manchmal werden diese Bilder auch herangezogen, um diese dann zu kritisieren. Deswegen schreibe ich heute darüber, was Selbst_Fürsorge für mich NICHT ist.
Ich finde eine kritische Perspektive auf Selbst_Fürsorge wichtig, die den Zugang zu Ressourcen reflektiert, ohne zu behaupten, dass Selbst_Fürsorge nur etwas für privilegierte Menschen ist. Für mich geht es nicht darum, Selbstfürsorge oder gegenseitige Fürsorge zu kritisieren, sondern die Dinge, die diese Fürsorge notwendig machen.


Selbst_Fürsorge ist kein Aspirin Complex

Selbst_Fürsorge ist für mich keine Medizin, zu der ich greife, wenn ich mich erschöpft fühle. Für mich geht es bei Selbst_Fürsorge nicht um eine Liste an Wundermitteln, auf der ich mir je nach Bedarf das passende aussuche. Selbst_Fürsorge ist keine schnelle Lösung. Selbst_Fürsorge bedeutet für mich zu reflektieren, wie ich mein Leben gestalte, nach welchen Werten ich mich ausrichte und wie ich andere darin wahrnehme. Selbst_Fürsorge ist für mich eine Haltung, mit der ich Bedürfnisse, Kapazitäten und Grenzen von anderen und mir selbst wahrnehme und diese in Zusammenhang mit strukturellen Machtverhältnisse setze.
Fürsorge ist andere zu befähigen, sich handelnd und empowert in die Welt zu werfen. Fürsorge ist Selbstverhältnisse kritisch reflektierend zu ermöglichen und Weltverhältnisse in Frage zu stellen.
(Maureen Maisha Eggers in der Diskussion nach ihrem Vortrag "Pippi Langstrumpf – Emanzipation nur für weiße Kinder?", Zitat aus meinem Gedächtnis)


Selbstfürsorge ist keine Selbstpathologisierung

Ich schreibe hier bewusst Selbstfürsorge, weil ich denke, dass Fürsorge für andere auch pathologisierende und/ oder paternalistische Züge annehmen kann. Ich finde es problematisch, wenn Fürsorge nicht andere stärkt, einen selbstbestimmten Umgang zu finden. In der Vergangenheit hab ich die Erfahrung gemacht, dass ich mit meinem Kümmern auch Abhängigkeiten produzieren kann. Ich bin deswegen interessiert, wie gegenseitige Fürsorge empowernd sein kann.

Ein großes Problem ist, dass ich im staatlichen Gesundheitssystem nur dann Unterstützung erhalte, wenn ich mich diagnostizieren lasse. Je nachdem um welche Diagnosen es sich handelt und wie stark diese psychologisch aufgeladen sind, kann es mit Pathologisierungen einhergehen. Unter Pathologisierung verstehe ich, andere Menschen als krank zu erklären – ohne dabei die Selbstdefinition der Person zu berücksichtigen. Trans*sein gilt beispielsweise immer noch als Krankheit. Ein über Krankenkassen finanzierter Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen wird nur dann gewährt, wenn er mit einer Diagnose einhergeht.
Die Frage ist aber auch, wer überhaupt (in welchem Maße) Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Illegalisierte Menschen können (häufig) keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Von Trans* Menschen höre ich immer wieder, dass sie in ihrer Therapie ein möglichst poliertes Bild von sich selbst vermitteln wollen und deswegen dort nicht von den psychischen Folgen von Trans*diskriminierung, die sie erleben, erzählen.
Sich um sich selbst zu kümmern kann auch bedeuteten, alltägliche Bedürfnisse zu erfüllen. Texte zu Ableismus kritisieren, dass Selbstfürsorge häufig als Luxus abgetan wird, obwohl für sie darin eine alltägliche Notwendigkeit besteht (Texte auf englisch: For Badass Disability Justice, Working-Class and Poor-Led Models of Sustainable Hustling for Liberation, An End to Able Bodied Rhetoric, On Gimp-Time: Activism and Commitment). Dabei wird häufig betont: Krankmachende Strukturen, durch die es Menschen schlecht geht und die Menschen als krank erklären, sind das Problem; nicht Selbst_Fürsorge. Selbstfürsorge ist für mich der Versuch, einen Umgang mit diesen Strukturen zu finden und sich selbst und einander gegenseitig darin zu stärken, sich in diesen Strukturen und gegen diese Strukturen zu bewegen.

Audre Lorde: Für mich selbst zu sorgen ist keine Selbsthingabe, sondern Selbsterhaltung und das ist ein politisches Kampfmittel. (Übersetzung von mir)


Selbst_Fürsorge ist kein Rückzug

Es gibt die Momente, wo ich für mich alleine sein will; die Momente, die ich einfach nur für mich, meine Gedanken und Gefühle brauche; die Momente, um bei mir selbst wieder anzukommen und mich selbst zu reflektieren. Das ist auch ein Teil von Selbstfürsorge.
Selbstfürsorge ist aber für mich kein Rückzug auf Dauer. Ich bin eher daran interessiert, wie Schonräume gebildet werden können. Und ich weiß, dass diese Schonräume nur dann entstehen können, wenn ich bereit bin meine Komfortzonen zu verlassen.

Aber ich denke, dass einer der Wege, wie wir Privilegien konfrontieren, ist, unseren emotionalen, spirituellen und körperlichen Komfort in Frage zu stellen.
But I do think one of the ways we confront privilege,  is to question our emotional, spiritual, and physical comfort.
(Caroline Picker: Privilege, reparations, and communities of care, Übersetzung von mir)

Mein Fokus entfernt sich immer weiter von einem engen Verständnis von Selbst_Fürsorge und ich frage mich immer mehr, wie wir caring Communities schaffen können.

Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha schreibt in ihrem Text For Badass Disability Justice, Working-Class and Poor-Led Models of Sustainable Hustling for Liberation, dass Erschöpfung von Aktivist_innen auch daher kommen kann, dass die Bewegungen oder Communities ableistisch und unzugänglich für viele sind.
Wie können wir Raum für unterschiedliche Zugänge und Kapazitäten schaffen? Was ist mein Zugang von feministischem Aktivismus? Welche Zugänge haben andere? Wie ist mein Zugang durch Normen von Produktivität und Effizienz geprägt? Für mich ist es wichtig, über verschiedene Gründe nachzudenken, warum Menschen vermeintlich "weniger" machen. Ich möchte mich selbst über verschiedene Kapazitäten informieren, damit ich andere nicht dazu zwinge, über ihre Erschöpfung, Grenzen und Burnouts zu sprechen, bevor ich von meinen Erwartungen abrücke.

Ich ende mit einem Zitat von Dean Spade (Übersetzung von mir):
Wir müssen behutsam mit uns selbst und miteinander sein und heftig, wenn wir Unterdrückung bekämpfen.
We need to be gentle with ourselves and each other and fierce as we fight oppression.