Freitag, 31. Mai 2013

Unterstützung geben oder sich verantwortlich fühlen?

Als Antigewalt-Aktivist_in ist die Unterstützung anderer essentieller Bestandteil meines politischen_persönlichen Alltags. Unterstützung geben und Unterstützung erfahren gehören zu meiner feministischen Praxis und ein Erlebbar-Machen von Solidarität.

In der Unterstützung anderer halte ich Selbstfürsorge für zentral. Es ist dabei wichtig, auf die eigenen Grenzen zu achten und für Ausgleich zu sorgen. Wenn ich andere unterstütze, kann es passieren, dass ich mit eigenen (Gewalt-) Erfahrungen in Kontakt komme. In welchem Verhältnis befinden sich die Unterstützung anderer und meine eigenen (Gewalt-) Erfahrungen? Welchen Einfluss haben meine eigenen Erfahrungen auf die Unterstützung? Wie sehr belasten oder beschäftigen mich meine eigenen Erfahrungen? Hab ich eigene Räume, um diese zu verarbeiten und gut für mich zu sorgen?

In der Broschüre "Unterstützung geben" von LesMigraS/ Lesbenberatung Berlin gibt es viele Hinweise zu der Unterstützung anderer und aktivistischer Selbstfürsorge (auch in Print bei der Lesbenberatung erhältlich). Dort steht zu dem Thema:
Es kann auch sein, dass eigene Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung bei Ihnen hoch kommen. Wenn Sie merken, dass Sie die Gewalt- oder Diskriminierungserfahrung einer Ihnen nahe stehenden Person zu sehr belastet, weil es Sie an eigene Erfahrungen erinnert, ist es wichtig, dass Sie diese Belastung ernst nehmen. Es besteht jederzeit auch für Sie die Möglichkeit sich Unterstützung zu holen, auch wenn die Situation, in der Sie Gewalt oder Diskriminierung erfahren haben, schon lange zurückliegt oder schon lange anhält, ohne dass Sie jemals wem davon erzählt haben. Gewalt und Diskriminierung kann lang anhaltende Effekte auf Sie haben, die auch Jahre später noch Auswirkungen zeigen. Nehmen Sie sich selbst Zeit und Raum für Ihre Erfahrungen. Überlegen Sie gut, ob Sie sich gerade in der Lage fühlen, eine andere Person zu unterstützen, während Sie selbst etwas aufarbeiten. Achten Sie darauf, dass Sie Ihre eigenen Erfahrungen und die einer anderen Person nicht gleich setzen. Manchmal erscheint es leichter, eine andere Person zu unterstützen als selbst nach Unterstützung zu fragen. Auch Ihre Erfahrungen und Erlebnisse brauchen Zuwendung, Unterstützung und Verarbeitung. Es ist wichtig, dass Sie mit der von Ihnen erlebten Gewalt oder Diskriminierung umgehen, damit sie Sie und Ihre Verhältnisse zu anderen Menschen nicht langfristig belastet. Die Person, die gerade Unterstützung von Ihnen braucht, ist nicht die richtige Ansprechperson, um mit eigenen Gewalt-/ Diskriminierungserfahrungen umzugehen. Suchen Sie sich deswegen Personen, die nicht in die Unterstützung eingebunden sind. Das können Freund_innen sein, aber auch Beratungsstellen oder Therapeut_innen. Bleiben Sie nicht mit Ihren Erinnerungen allein! (S. 50-51)
Doch wie merke ich, ob ich in meiner Unterstützung anderer gut für mich sorge? Und wann identifiziere ich mich zu sehr mit den Erfahrungen anderer?
Für mich ist dabei folgende Frage hilfreich: Fühl ich mich für die andere Person verantwortlich? Unterstützung ist für mich dadurch gekennzeichnet, dass ich für die andere Person da und ansprechbar bin, aber die Verantwortung für den eigenen Umgang mit dem Erlebten bei der anderen Person lasse. Ich fühle mich für die andere Person verantwortlich, wenn ich merke, dass ich davon abhängig bin, dass es der anderen Person besser geht, dass ich an kaum etwas Anderes denken kann. Meistens ist das ein Zeichen dafür, dass es dabei auch um eigene Erfahrungen oder Umgangstrategien (mit Gewalt) geht, dass ich ein eigenes Ziel mit der Unterstützung der anderen Person verfolge. Möglicherweise gebe ich die Unterstützung und den Rat, die ich selbst gerne erhalten würde/ hätte. Oder es ist ein Zeichen für meine genderspezifische Sozialisation und die internalisierte Norm, dass es mir nur dann gut gehen darf, wenn ich dafür sorge, dass es anderen gut geht und meine emotionale Energie in erster Linie in andere Menschen stecke.

In welcher Form gibst du anderen Unterstützung?
Worum geht es dabei für dich? Welche eigenen Ziele verfolgst du vielleicht damit?
Wie kannst du gut für dich sorgen? Mit wem und wo kannst du eigene Themen gut verarbeiten?

Montag, 20. Mai 2013

Everybody hurts sometimes - Umgang mit Verletzlichkeiten

Wie gehst du mit deinen Verletzlichkeiten um?

Als Feminist_in aktiv zu sein bedeutet häufig auch mit persönlichen Themen in der Öffentlichkeit zu sein. Und auch wenn es von feministischer Seite dafür viel Solidarität gibt, wird es nicht immer von allen wohlwollend aufgenommen. Diskriminiert zu werden oder Gewalt zu erfahren, während ich Diskriminierung und Gewalt thematisiere, finde ich immer besonders hart.

Kann ich in einem Blog überhaupt öffentlich über (den Umgang mit) Verletzlichkeiten schreiben? Oder ist das ein Thema, das eher an unsere Küchentische, auf unsere Sofas und insgesamt in vertrautere Räume gehört?

Was ist der Unterschied zwischen Selbstfürsorge und Selbstschutz?
Wie lässt sich eine Balance finden zwischen der Tendenz, sich als starke_r Kämpfer_in darzustellen, und dem Bedürfnis, sich auf eigene Betroffenheiten zu fokussieren?

Als ich noch klein war, bin ich immer weggerannt und hab mich versteckt, wenn ich mich verletzt hatte. Ich wollte nicht, dass mich irgendwer weinen sieht und konnte niemanden daran teilhaben lassen, dass mir etwas zugestoßen war. Erst wenn ich mich wieder gefangen hatte, bin ich aus meinem Versteck hervorgekrochen. Diese Tendenz hab ich auch heute noch, auch wenn es jetzt seltener um körperliche Auas geht.

In welchen Räumen kannst du deine Verletzungen zeigen?
Welchen Umgang wünschst du dir mit deinen Verletzlichkeiten?

Ich finde es sehr mutig, offen mit den eigenen Themen umzugehen, sich selbst auch in einer eigenen Hilflosigkeit zu zeigen. Ich finde es wichtig, dafür Anerkennung und Wertschätzung auszusprechen.
Und ich denke, dass wir Umgangsstrategien benötigen, um uns gegenseitig zu unterstützen, wenn das Sichtbarmachen unserer Verletzlichkeiten zu Verletzungen führt.

Manchmal gibt es nur Platz für Verzweiflung und Traurigkeit. Ich finde es wichtig, auch diese miteinander zu teilen. Am besten auf eine Weise, die uns nicht gegenseitig runterzieht.

Heute teile ich also eines meiner Ausheul-Videos mit euch (versucht einfach den ganzen Casting-Show-Rahmen zu ignorieren):


Samstag, 18. Mai 2013

Busy Bees - oder: Der Stress steht dir gut.

Eine Aufzählung von Projekten und Baustellen - darum drehen sich häufig die ersten Unterhaltungen mit anderen Feminist_innen oder auch die Updates mit Menschen, die ich länger nicht gesehen habe. Eine bittersüße Vorstellungsrunde.

Ich genieße es, mich mit anderen Feminist_innen über Projekte auszutauschen. Bezugnahmen aufeinander finde ich total wichtig und ich möchte die konstruktive Kritik, die ich von anderen Feminist_innen erhalte, auf keinen Fall missen. Ich fühl mich als Teil des feministischen Beats in der Stadt oder auch überregional, wenn ich höre, was andere gerade so machen und welche Projekte so am Laufen sind. Ich erzähle gerne von meinen eigenen Plänen - nicht zuletzt auch, weil ich an den Plänen eher dran bleibe, wenn ich weiß, dass andere auch davon wissen.

Doch gleichzeitig besteht immer auch die Gefahr, dass ich mich ausschließlich über meine Projekte definiere. Und beim Schreiben spüre ich schon meine Ambivalenz: Meine Projekte sind mir aber wichtig und ich will mich nicht dafür verteidigen müssen, dass sie mir wichtig sind - widerspricht laut eine Stimme in mir. Stimmt ja auch, aber nur auch eben.
Häufig kann ich nicht klar zwischen Busy-sein und Erschöpft-sein unterscheiden. Und ich frage mich, ob es zunehmend zum guten feministischen Ton gehört voll ausgelastet zu sein. Warum verweigern wir nicht mehr, immer unter Zeitdruck zu stehen und unsere Terminkalender zwei Wochen im Voraus vollzupacken? Wie könnte eine alternative Zeitplanung gestaltet sein?

Inwiefern erheben wir Funktionieren auch in feministischen Kreisen zur Norm? Was muss ich leisten können, um dazu gehören zu können? Welche Fähigkeiten und Zugangsmöglichkeiten setzen welche Aktionen und Projekte voraus? Wie kommt die Demo zu Feminist_innen, wenn Feminist_innen nicht zur Demo kommen können?

Immer wieder nehme ich wahr, wie FrauenLesbenTrans* als Folge einer rassistisch-homophob-transphob-ableistisch-klassistisch-...-sexistischen Gesellschaft an der Welt verzweifeln. Häufig resultiert diese Verzweiflung in Rückzug oder selbstschädigenden Umgangsstrategien. Ich frage mich immer wieder, wie ich Menschen in ihren Verzweiflungsphasen in meinen feministischen Communities halten kann. Ich kann zwar keine Verantwortung für ihr Leben übernehmen, aber ich kann ihnen Formen von Unterstützung anbieten. Dafür muss ich meinen Projektestress erstmal abschütteln, um mich gut auf Begegnungen einlassen zu können.

Das ist ein Puzzlestück meiner Vision für ein feminstisches Retreat-Center. Ich möchte einen Rückzugsraum schaffen, der eine Auszeit anbietet und sich jenseits von Funktionier-Normen bewegt. Wo Verzweiflung Platz haben kann und Verzweifelte von Menschen umgeben sind, die gerade emotional Platz dafür haben.

Welche Dynamiken hat dein_e busy bee?
Wie gehst du mit deiner Verzweiflung um? Und wo wendest du dich mit ihr hin?
Wie lassen sich feministische Vernetzungen und Communities jenseits von Funktionier-Normen gestalten? Was kann dein Beitrag dazu sein?

Samstag, 11. Mai 2013

Krisen-Gegenmittel

Das wohl beste Gegenmittel zu fast jeder Krise: Verbundenheit.

Als mich als junge Erwachsene das Wahrnehmen einer sexistischen und kapitalistischen Gesellschaft in die Depression stürzte, war es wichtig, damit nicht allein zu sein. Um mich herum waren andere, die Ähnliches durchmachten, und wir teilten unsere Tiefpunkte, unsere Strategien, unsere Analysen und unsere Fehltritte. Daraus sind innige Kontakte entstanden, die mich heute noch tragen.

Gewalt und Diskriminierung isolieren. Kapitalismus lehrt Konkurrenzverhalten. Krisen lassen Rückzug attraktiv erscheinen.

In solchen Situationen fällt es mir nicht immer leicht, zum Hörer zu greifen und andere um Unterstützung zu fragen. Verletzlichkeit ist für mich immer noch etwas, das mir manchmal peinlich ist. Ich will keinen weiblichen Stereotypen entsprechen und mime deswegen lieber die Starke.
Doch was mir wirklich in Krisensituationen hilft, ist die Verbundenheit mit anderen: Mich von der Zuversicht anderer anstecken zu lassen, Lebensfreude zu tanken, mich an der Schulter einer Freundin ausheulen zu können, mich in mein soziales Netz fallen zu lassen und darauf vertrauen zu können, dass ich gehalten werde.

Verbundenheit mit anderen lässt mich lebendig fühlen. Ich versuche täglich mein Herz so weit zu öffnen, dass ich mich mit anderen verbinden kann. Jeden Tag in der Begegnung mit den tollen Feminist_innen, die mich umgeben, meine Rüstung abzulegen, die ich mir vor Jahrzehnten als Schutz zugelegt habe. Mit_fühlen und das Verweigern von Abstumpfen.

Ich bin dankbar für die Verbundenheit mit meinen Mitstreiter_innen und Kolleg_innen, für die Herzenswärme meiner Freund_innen und jedes Lächeln im Großstadtgrau.

Wer gehört in meinen Inneren Kreis?
Eine kleine Übung (inspiriert von Julia Cameron):
  • Zeichne einen Kreis.
  • Schreibe in das Innere des Kreises die Menschen, die dir gut tun und an die du dich wenden möchtest, wenn du Unterstützung brauchst.
  • Schreibe außerdem in das Innere des Kreises, welche Seiten du mit diesen Menschen ausleben kannst.
  • Schreibe außerhalb des Kreises die Menschen in deinem Leben, die dir nicht gut tun und die du lieber auf Distanz halten möchtest.
  • Gibt es Menschen, die du gerne auf die Linie des Kreises schreiben möchtest?
  • Wie geht es dir bei dem Betrachten des Kreises? Gibt es Überraschungen?
  • Mit wem verbringst du deine Zeit? Und entspricht dies deinen Eintragungen im Kreis?

Mittwoch, 1. Mai 2013

ReAktionsdruck

Als feministische Aktivist_innen spielen wir häufig Feuerwehr. Selbst in meinem Körper ist ReAgieren eingeschrieben, sei es auf den sexistischen oder homophoben Spruch auf der Straße oder irgendwas Rassistisches, das in den Medien passiert.

Meine Hoffnung ist, dass es auch irgendeine Form von Agieren ist, weil ich handle, Sachen nicht hinnehme und versuche, auf eine kleinere oder gesellschaftlichere Veränderung hinzuwirken. Und doch bleibt es immer nur eine Reaktion. Ich agiere, weil ich in das Agieren anderer intervenieren möchte. Und dabei entsteht eine Abhängigkeit. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn ich emotional davon belastet bin, was um mich herum passiert. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn auf die Reaktion von mir keine Reakton kommt oder eine gewaltvolle Reaktion kommt. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn ich immer mehr Energie in die gewaltvolle Dynamik gebe, weil ich die Hoffnung habe(n muss), dass sich vielleicht doch noch etwas verändert.

Ich brauche Zeiten, wo ich aus diesem ReAktionsdruck aussteige. Und doch liegt die Entscheidung so selten bei mir, außer ich ziehe mich in die Isolation zurück und bin auch nicht in virtuellen Welten unterwegs.
Ein kleiner Schritt aus der Abhängigkeit heraus ist, wenn ich meine Zufriedenheit mit Interventionen nicht an der ReAktion meines Gegenübers messe, sondern an meinem eigenen Verhalten: Habe ich nach meinen eigenen Werten gehandelt? Habe ich eine Intervention gefunden, in der ich keine Gewalt reproduziere? Hab ich auf meine eigene Sicherheit geachtet? Hab ich mir danach selbst Anerkennung gegeben bzw. gut für mich gesorgt, wenn die Situation mich verletzt, verunsichert oder gefährdet hat?

Es hilft mir aber auch, die Momente und Situationen zu sammeln, in denen mein ReAgieren einen Effekt hatte, in denen ich kleine Veränderungen bewirkt habe. All die schlechten Erlebnisse bleiben meistens stärker hängen. Und ich habe gemerkt, dass ich mich aktiv an die (mehr oder weniger) erfolgreichen Interventionen erinnern muss. Diese Erlebnisse hab ich meistens in meinem sozialen Umfeld oder in Kontexten, wo ich mich auf gemeinsame Werte beziehen kann, wo es emotionale und/oder politische Nähe gibt.

Um sich an positive Erlebnisse zu erinnern, kann ich dir zwei verschiedene Formen vorschlagen:
1. Du kannst ein Freude-Heft führen, in das du jeden Abend fünf Sachen schreibst, über die du dich heute gefreut hast. Für manche kann es auch stimmiger sein, das Heft als Dankbarkeitsheft zu bezeichnen und Sachen zu notieren, für die du dankbar bist. Dort ist dann eben auch Platz für ReAktionen, mit denen du zufrieden warst.
2. Du kannst dir ein Einmachglas zulegen, in denen du deine Erfolgserlebnisse sammelst. Jedes Erfolgserlebnis kommt auf einen kleinen Zettel, der zusammengefaltet und ins Glas gelegt wird.

Und wenn du frustriert bist oder dich über die Welt ärgerst, kannst du nachlesen, was du schon geschrieben hast und hoffentlich wieder Energie für die nächsten ReAktionen tanken.

Weitere Blogposts zu dem Thema:
Eine Frage der Haltung
Immer auf Rufbereitschaft