Dienstag, 26. März 2013

Wenn Nähe Distanz schafft

Was bedeutet eigentlich Solidarität? Und wie emotional belastend kann das Ringen um Solidarität sein?

In dem Buch "Entscheidend einschneidend - Mit Gewalt unter Frauen in lesbischen und feministischen Zusammenhängen umgehen" wird eindrücklich beschrieben, wie Solidarität in feministischen Zusammenhängen häufig an Grenzen stößt und das Miteinander eher durch gewaltvolles Verhalten als durch einen respektvollen Umgang geprägt ist.

In dem Artikel "Nein, also die... - Über Mobbing, Ächtung und Auschluss in Frauen- und Lesbenzusammenhängen" schreibt Michi Ebner:
Gruppenstrukturen mit Gleichheitsdruck verlangen zudem, dass alle Gruppenmitglieder im konstruierten Wir-Gefühl untertauchen, wobei jede, die nicht in diese scheinbare Gleichheit passt oder bewusst aus ihr heraustritt, in Gefahr des Ausschlusses gerät. (...)
Viele geben sich gerne "individuell, "widerständig", "eigenwillig", und würden es sich nicht einmal selbst vergegenwärtigen, dass Anpassung an die Gruppe einen wichtigen Stellenwert für sie hat. Denn das passt nicht in das Selbstbild der politisch aktiven Feministin. Und doch scheinen de facto Verschiedenheit, persönliche Stärke, die Fähigkeit eigene Entscheidungen zu treffen, das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Handeln in krassem Widerspruch zu den in der Bewegung sehr weit verbreiteten Gruppenstrukturen zu sein.

Ich nehme zwei Formen wahr, wie Solidarität an ihre Grenzen stoßen kann:

Zum einen belastet es mich, wenn unterschiedliche Perspektiven keinen Raum haben dürfen und der Druck nach Einheitlichkeit hoch ist. Ich finde es wichtig, als Feminist_innen gemeinsame Positionen zu entwickeln, die strukturelle Gewalt wahrnehmen und Mehrfachdiskriminierung in den Mittelpunkt stellen. Aber ebenso finde ich es wichig, Platz zu lassen für Widersprüche und Widersprechen, für unterschiedliche Prioritäten und Schwerpunktsetzungen. Leider sind feministische Zusammenhänge und Gruppen immer wieder von Kämpfen um die radikalste Position und Deutungshoheit geprägt. Aus Solidarität wird Loyalitätsdruck: entweder du bist auf meiner Seite oder du bist gegen mich. Und zum Teil kann ich diese Perspektive auch verstehen: Aus erfahrener Gewalt entsteht ein Wunsch nach Unterstützung und geschützten Räumen. Nur leider kann aus diesem Wunsch nach Unterstützung eine zwanghafte Erwartung werden. Das hab ich an mir selbst schon erlebt und es tut mir leid, wie ich damit andere unter Druck gesetzt habe. Ich kann andere nicht zwingen, eine andere Meinung herunterzuschlucken.

Zum anderen finde ich es schwierig, wenn  die politischen Ideale und Utopien, die wir inhaltlich besprechen,  in den eigenen Zusammenhängen nicht gelebt werden. Feministische Zusammenhänge sind keine diskriminierungsfreien Räume. Ein Wunsch nach geschützten Räumen macht meiner Meinung nach nur aus privilegierter Perspektive Sinn, wo keine Verbündeten benötigt werden und die vermeintlichen "Feinde" ausgeschlossen werden können. Das macht ein Ansprechen von Diskriminierungen und gewaltvollen Äußerungen nahezu unmöglich, weil sie ja per se nicht stattfinden dürfen und können. Konstruktive Kritik ist nicht gewünscht. Für mich ist es aber wichtig, verantwortungsvoll miteinander umzugehen. Ich möchte von anderen darauf aufmerksam gemacht werden, wenn ich mich nicht nach meinen (unseren geteilten) feministischen Ansprüchen verhalte. Und ich möchte andere darauf hinweisen, um ihnen die Möglichkeit zur Veränderung zu geben.

Die Schwierigkeit besteht für mich häufig darin, das eine von dem anderen zu unterscheiden. Möchte ich gerade Kritik geben, weil ich wahrnehme, dass sich gerade jemand nicht verantwortungsvoll verhält? Oder ist meine vermeintliche Kritik eine Erwartung nach Einheitlichkeit und ein Zurechtweisen, sich nach meinen Vorstellungen zu verhalten? Ich finde es wichtig, solidarisches Verhalten gemeinsam zu reflektieren und zusammen Wege zu finden, ein verantwortungsvolles Miteinander aufzubauen und zu füllen und zu leben.

Ich wünsche mir, dass wir mehr sprechen, wie uns unsolidarisches Verhalten belastet. Ich wünsche mir, dass wir Umgangsstrategien entwickeln, dass sich nicht immer mehr Aktivist_innen aus feministischen Zusammenhängen zurückziehen, weil ihre Stimmen dort nicht gehört werden.

Was bedeutet eigentlich Solidarität für dich?
Wie können wir verantwortungsvoll und respektvoll miteinander umgehen?
Wie wollen wir uns gegenseitig Kritik geben, um gemeinsam wachsen zu können?
Wie kann ein feministischer Aktivismus mit Raum für unterschiedliche Perspektiven geschaffen werden?

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